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Die Bektaschi in Albanien und ihre Geschichte

Justina Matošin

Im September 2017 hatten wir, einige Studenten und Dozenten der Humboldt-Universität zu Berlin, der Universität Wien und der Friedrich-Schiller-Universität Jena die Freude an einer Exkursion nach Mazedonien und Albanien teilnehmen zu dürfen um die Balkan-Muslime näher kennenzulernen.

Am 9. September 2017 haben wir zunächst die Arabati Baba Tekke in Tetovo, Mazedonien, besucht wo uns vom örtlichen Derwisch, dem Vorstehenden der Tekke, viel zu den Ritualen der Bektaschi erzählt wurde. Da sich die deutliche Mehrheit der Bektaschi aber im Nachbarland Albanien befindet machten wir uns wenige Tage später auf die Reise nach Albanien (Der Bektaschi-Orden zählt in Mazedonien etwa 50.000 Mitglieder, die vom Staat der islamischen Glaubensgemeinschaft zugeordnet werden. Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode, Antwort des Bundesregierung auf die menschenrechtliche Lage in Mazedonien, 4. November 2016, S.13. ).

So haben wir am 15. September das Bektashi World Center oder Kryegjyshata, östlich des Stadtzentrums von Tirana besucht. Im unteren Geschoss befindet sich ein Museum dass die Entwicklung der Bektaschi im Verlauf der Geschichte darstellt und einige Büroräume in den MitarbeiterInnen sich um die Belange der Gemeinde kümmern. Das imposante und vollständig mit Marmor verkleidete Gebäude zeichnet die Glaubenssäulen der Bektaschi ab: die Zwölfer-Schia laut derer es zwölf Imame gibt. Sie ist Teil des Schia, des Schiitentums, zu dem die Bektaschi ebenfalls gehören.

Bektashi World Center, Decke mit zwölf Sonnen und Fenstern für die zwölf Imame

Wie wir also im September erst durch die Geschichte im Inneren des World Centers bis in die Gegenwart hinaufgestiegen sind möchte ich nun mit Ihnen eine solche Reise unternehmen auf der ich auch einige Begriffe näher erklären möchte. Die Aleviten leiten ihren Namen aus ihrer Verehrung Alis (Abū l-Hasan ʿAlī ibn Abī Tālib) ab, dem Schwiegersohn und Vetter von Mohammed den sie sich nach dessen Tod anstatt Abu Bakr (Abū Bakr), dem Schwiegervater Mohammeds, als Nachfolger des Propheten wünschten. Beide Männer spalteten den Islam in zwei Glaubensgemeinschaften: Die Sunniten und die Schiiten.

Zur zweiten Gruppe gehören die Aleviten, deren Angehörige heute außer in der Türkei auch in Syrien, Iranschi-Kurdistan und Aserbaidschan siedeln, aber auch die Bektaschi.

Diese differenzieren sich von den Aleviten durch ihre Bezugnahme auf ihren hazret, ihren als heilig verehrten Haci Bektaş Veli, der im 13. Jahrhundert aus dem Nordosten Irans nach Anatolien auswanderte und dort zum Begründer eines sogenannten Sufi-Ordens wurde und maßgeblich zur Namensgebung der neuen Glaubensgemeinschaft beitrug. Ein solcher Orden zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er im Gegensatz zum sunnitischen Islam asketische Tendenzen und gewisse spirituelle Orientierungen aufweist. Durch verschiedene Glaubenskämpfe, unter anderem auch mit den Mongolen, nahmen die Bektaschi im Laufe der Zeit verschiedene Religionseinflüsse in ihr Gedankengut auf, wie etwa christliche, vor-islamische, buddhistische und schamanistische Elemente. Als Beispiel für christliche Einflüsse ist an dieser Stelle die alevitische Vorstellung von Ali, Mohammed und Allah als heilige Dreieinigkeit zu nennen.

Wie in vielen religiösen Gemeinden verfügt auch der Bektaschi-Orden über eine Hierarchie die aus den Talip oder Mühip als Novizen, den Derviş oder Babas und zuoberst aus den Halifen oder Dedes besteht. Das Oberhaupt der gesamten Religionsgemeinschaft ist der Dedebaba, dessen Amt zur Zeit Edmond Brahimaj innehat und auch Baba Mondi genannt wird (s. Abb.).

Edmond Brahimaj, Dedebaba seit 2011

Im Verlgeich zu den Sunniten begehen die Bektaschi keinen richtigen Ramadan – hier wird nur an drei Tagen gefastet – denn sie widmen sich dem Fasten in ihrem Trauermonat Muharrem, der nach dem islamischen Kalender unserem Januar entspricht. In diesem Monat wird an zehn bis zwölf Tagen gefastet und im Anschluss eine Süßspeise aus zwölf Zutaten, die symbolisch für die zwölf Imame der Zwölfer-Schia stehen, zu sich genommen.

Ähnlich den zwölf Geboten gibt es in der Glaubensgemeinschaft der Bektaschi Grundwerte die als Verbot von Mord, Körperverletzung, Diebstahl, übler Nachrede und nichtehelichen Beziehungen interpretiert werden können: ,,eline, beline, diline sahip ol’’ was die Bedeutung ,,Beherrsche deine Hände, deine Lenden und beherrsche deine Zunge’’ trägt und für das negative Potential steht, dass im Menschen ruht.

Die Bektaschi vertreten einen deutlich liberaleren Islam, so sollen Frauen unbedingt an Zeremonien wie dem Cem teilnehmen, gleichberechtig sein und vor allem Zugang zur Schulbildung in jeder Form erhalten. Sie tragen keine Kopfbedeckung und sind den Männern im Orden ebenbürtig. Bei dem Cem und dem Muhabet handelt es sich um gemeinschaftliche Zeremonien und gemeinsame Mähler, bei denen Raki, dem Weinbrand des Balkans, getrunken, diskutiert und getanzt wird.

Eindeutig ist zwar, woher die Bektaschi ihren Namen beziehen, doch ist man sich bis heute streitig, wer der wahre Begründer des Glaubensordens war. Inzwischen geht man jedoch davon aus, dass es sich dabei nicht um Haci Bektaş Veli, sondern vielmehr um Balim Sultan handelt, einem aus Griechenland stammenden Derwisch.

Während des 16. Jahrhunderts war das heutige albanische Territorialgebiet schon völlig in das Osmanische Reich aufgenommen, nachdem der Widerstand durch Gjergj Kastrioti, bekannt als der albanische Nationalheld Skanderbeg, und dessen Truppen entgültig niedergeschlagen wurde.

Es gibt keine verwertbaren Spuren die zeigen könnten, dass es schon vor dem 15. Jahrhundert in Albanien viele Muslime gegeben hätte und erst ab dem 17. Jahrhundert sollte die Mehrheit des albanischen Volkes beginngen, zum Islam zu konvertieren.

Die Bektaschi indess etablierten sich schon im 14. Und 15. Jahrhundert und verbreiteten sich vor allem auf dem Balkan. Eine große Rolle haben sie möglicherweise bei der Gründung des Janitscharen-Korps gespielt, da Legenden zufolge sogar der Namensgeber des Ordens Haci Bektaş Veli die ersten Truppen aufgestellt haben soll. Es ist jedoch wahrscheinlicher dass die Janitscharen, die Eliteeinheit der Armee der Osmanischen Sultane, von Murad I., der bis 1389 das Osmanische Reich regierte, gegründet wurden. Es werden ferner auch andere Bektaschi-Derwische als Gründer benannt, was die Vermutung zulässt, dass die Bektaschi eng an die Janitscharen gebunden waren. Belege für Existenz von Gemeindehäusern der Tariqa, der Sufi-Orden, existieren allerdings erst für das 17. Jahrhundert.

Als die Elitetruppe nach jahrelangen Aufständen 1826 gewaltsam aufgelöst wurde, erfuhren die Bektaschi eine Verdrängung aus der Gesellschaft durch Sultan Mahmud II der die Religionsgemeinschaft verbot. Tekken (teqe), die Zentren der Derwisch-Orden wo die Bektaschi ihre Zeremonien durchführen, wurden geschlossen und die Bektaschis gewaltsam vertrieben. Bald, in etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts schafften sie es jedoch sich neu aufzustellen, begannen sich wieder anzusiedeln und ihre Tekken zu öffnen. Als jedoch schließlich Mustafa Kemal Atatürk 1925 die neue türkische Republik ausrief, ließ er erneut alle Tekken schließen, konfiszierte Grund und Boden der Bektaschi-Gemeinden und viele Bektaschi sahen sich gezwungen ins Exil auszuwandern. So verlegten sie sich ab diesem Zeitpunkt nach Albanien um dort ihren Hauptsitz zu eröffnen, wo sie zunächst auf religiöse Toleranz und einen weit verbreiteten Synkretismus stießen. Bis 1945 blieben sie den sunnitischen Moslems unterstellt und konnten sich erst ab dann als unabhängige Religionsgemeinschaft etablieren. Als im zweiten Weltkrieg nationalsozialistische deutsche Truppen und Teile der Armee des Mussolini-Regimes Albanien besetzten, kämpften viele Bektaschi in Widerstandsgruppen, unter anderem unter Enver Hoxha. Bis dahin befand sich Albanien in einer besondern Position: es war, bis zur späteren Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas, das einzige europäische Land mit muslimischer Mehrheit. Als Enver Hoxha 1967 schließlich den Atheismus als Staatsdoktrin verkündete war Albanien der einzige Staat weltweit der jegliche Konfessionen verbot und aus dem öffentlichen Leben verbannte. Auch die Bektaschi litten unter diesem öffentlichen Verbot und trafen sich daraufhin nur noch im Untergrund oder siedelten in die Vereingten Staaten, vornehmlich nach Detroit, über.

Nachdem das Hoxha-Regime und der Kommunsimus 1991 schließlich zusammenbrach, wagten sich die Bektaschi wieder an die Öffentlichkeit und bauten ihre Glaubenszentren, die Tekken/Teqen, wieder auf. Seitdem stehen sie jedoch zwischen westlichen und östlichen Integratiosnbestrebungen, durch die Europäische Union aber auch durch die Organisation Islamischer Staaten, wie etwa den Wahhabiten, den traditionalistischen Islamisten.

Die Bektaschi besitzen heute einen Zwischenstatus aus Gemeinde und Gesellschaft und pendeln irgendwo zwischen den drei offiziellen Religionen und anderen religiösen Minderheiten. De facto erkennt der Staat die Bektaschi an, jedoch haben sie kein Recht auf einen eigenen Repräsentanten im Staatssekretariat der Religionen und sind weiterhin in der Ausübung ihres Glaubens den Sunniten unterstellt.

Heute ist die Lage der Bektaschi in Albanien relativ schwierig: auch wenn der Islam und auch die Bektaschi wesentlich zur Prägung Albaniens wie es heute ist, beigetragen haben, fehlt vielen Bürgern das Interesse an der Religion, möglicherweise auch wegen der Einflüsse von Westen und Osten. Viele Bürger wünschen sich Teil der Europäischen Union zu werden und lehnen deshalb gegebenfalls die Zugehörigkeit zum Islam ab, wenn auch die Bektaschi einen deutlich liberaleren Zweig repräsentieren.

Inzwischen ist des den Bektaschi gelungen die Mehrheit ihrer Besitztümer vom Staat zurückzuerlangen und mittlerweile werden sogar die Zeremonien der Bektaschi im öffentlichrechtlichen Fernsehen übertragen. Die Bektaschi scheinen nun optimistisch in die Zukunft zu blicken in der zu hoffen bleibt, dass sie keine Unterdrückung und Vertreibung mehr erfahren werden.