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„Skopje 2014“ und die verfehlte Identitätspolitik – eine Kritik

Sandra Türk

Als am 26. Juli 1963 die Erde in Skopje bebte und die Bahnhofsuhr um 5:17h stehen blieb, ahnte noch niemand, wie über 50 Jahre später das Zentrum der Stadt einmal aussehen würde. Ein ca. 850 Millionen Euro teures Architekturprogramm sollte der Stadt eine neue imperialistisch-klassizistische Erscheinung geben, doch offen diskutiert oder gar angekündigt wurde dieses Vorhaben nicht. Die NGO “Плоштад Слобода” (Pložtad Sloboda, dt. Platz der Freiheit) hat sich mit ihrer Kampagne „Skopje 2014 uncovered“ zum Ziel gesetzt, Licht ins Dunkel dieses absurden Vorhabens zu bringen und der Öffentlichkeit zu beweisen, dass unter dem Deckmantel eines zentral gesteuerten Konjunkturprogramms öffentliche Gelder an regierungsnahe Unternehmen flossen, die mit diesem Bauvorhaben beauftragt wurden.

Nationales Prestigebedürfnis

Die Hauptstadt Mazedoniens erlebt eine institutionell aufgezwungene Renaissance: 100 vermeintliche Helden-Skulpturen, 34 über-ladene Monumente und 27 Gebäude mit aufgehübschter Vorhangfassade im neoklassizistischen und neo-barocken Stil sollen den neuen Nationalismus und eine starke, mazedonische Identität reflektieren. Solch überdimensionierte pietätlose Architektur, die man bisher nur aus ostasiatischen Autokratien oder futuristischen Wüstenoasen kennt, findet man nun auch mitten auf dem Balkan – in drittklassiger Bauqualität, denn die Gipskartonfassaden aus leicht entzündlichen Materialien bedürfen nachweislich der brandschutztechnischen Überarbeitung. Neue Brücken mit imperialistisch anmutenden Laternen verbinden die beiden Ufer des Vardar-Flusses, der das postsozialistische – von Manuel Andrack in einem ZEIT-Artikel auch als „Post-Beben-Architektur des Japaners Kenzo Tange“ bezeichnete – orthodoxe Zentrum von der mittelalterlichen, osmanisch geprägten Altstadt trennt. Doch diese Brücken dienen nicht etwa dem Zweck, die beiden Stadtteile auf vielfache Wege zu verbinden. Es wurde nicht versäumt, am muslimischen Ufer neue Gebäude zu erschaffen – mit einer Gebäudehöhe, die jegliche Sicht auf das muslimische Erbe versperrt. Dieses Erbe, das historisch nicht dementiert werden kann, soll perspektivisch den Bewohnern und seinen Besuchern unterschlagen werden.

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Ethnopolitische Spannungen

Nur knapp 65% der Bevölkerung Mazedoniens sind slawo-mazedonischer Herkunft, knapp ein Drittel ist ethnisch betrachtet albanisch. Aber Skopje besteht auf seine christliche Kultur, die mit dem überdimensionierten „Mileniumski Krst“, dem Kreuz der Jahrtausendwende, auf seinem Hausberg Vodno verdeutlicht werden soll, ein weiteres Symbol einer orthodoxenmuslimischen Segregation. Für eine ethnisch-albanische Kultur hingegen ist kein Platz. Nur die muslimische Ordensschwester und Friedensnobelpreisträgerin Mutter Teresa passt ins Bild, ihr wurde ebenfalls eine Gedenkstätte auf der Ulica Makedonija gewidmet – ein Kassenschlager und Highlight bei jeder Stadtführung. Was der Vollblutmazedonier sicher gerne verschweigt oder vielleicht gar nicht weiß: das Ohrid-Abkommen aus 2001 beinhaltet den Grundsatz der Nichtdiskriminierung, dennoch ist Albanisch immer noch nicht als zweite Amtssprache anerkannt worden und Mitspracherechte werden versagt. Die albanische Teilhabe hat zwar zugenommen, nicht aber die Integration. Die ethnische Segregation nimmt durch das westliche, italo-orientierte Mutterland Albanien zu, was nicht zuletzt auch der historischen und geografischen Lage geschuldet ist.

Die Rebellion der jungen Generation

Und als wäre das pseudo-monumentale refurbishment nicht genug, fielen auch 12 Parks und 35% der Bäume Skopjes – viele davon bis zu 70 Jahre alt – der Renovierung zum Opfer und bescherten der Stadt zugleich eine erhöhte Luftverschmutzung. All das führte dazu, dass ein Teil der vermeintlichen Nachkommenschaft des antiken Makedonien und seinem Herrscher Alexander des Großen sich nicht beeindrucken ließ und dem Bauwahn ihr eigenes Denkmal setzte: in einer Revolte beschmissen aufgebrachte Bewohner und Studenten die frisch gestrichenen Bauwerke, „Skopje 2014“ fiel den Farbbomben zum Opfer. Auch diese Spuren werden nun unvermeidbar in die Geschichte der Stadt eingehen.

Der Halbmond steht höher

Mit „Skopje 2014“ wollte sich die nationalistische Regierungspartei unter Nikola Gruevski vom Sozialismus und dem architektonischen Erbe des Osmanisches Reiches trennen, ein verunsichertes Land, das als post-jugoslawische Nation verzweifelt eine neue, eigene Identität sucht. Griechenland blockiert aufgrund des Namensstreits weiterhin den EU- und NATO-Beitritt Mazedoniens, was unter Umständen ein wichtiger Schritt in Richtung politischer Ordnung und Stabilisierung für das Land bedeuten könnte. Der verbitterte Versuch, das nationale Selbstgefühl mit Gipskarton zu untermauern kann aus eurozentrischer Sicht lächerlich wirken, es ist aber auch gefährlich. Denn solange auf dem Balkan Gebäude und Kirchen errichtet werden mit dem Ziel, jedes Minarett zu überragen, wird der seidene Faden, an dem der empfindliche Frieden auf dem Balkan hängt, länger und länger, bis er schließlich zu reißen droht. Und dennoch, eines kann die Regierung nicht verhindern und zwar die immer wiederkehrende Mondsichel, die sich hoch über dem Vodno und seinem Kreuz erhebt. Denn selbst mit der höchsten Gipskarton-Platte ließe sich dieser nicht verdecken.

Weiterführende Informationen: http://skopje2014.prizma.birn.eu.com/en


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