Besuch im Historischen Archiv Sarajevo (HAS)
Text: Goranka Ćejvanović / Photographien: Aleksandar Jakir, Goranka Ćejvanović
Zur Gründung und Tätigkeiten der Archive in Bosnien und Herzegowina (BuH)
Die ersten offiziellen und gesetzlich verankerten archivarischen Aktivitäten in Bosnien und Herzegowina beginnen Ende 1947 mit der Gründung des Staatsarchivs Bosnien und Herzegowinas. Danach werden die städtischen Archive in Sarajevo, Banja Luka, Tuzla, Mostar usw. formiert. Im Vorkriegs-Jugoslawien bauen die archivarischen Einrichtungen ein strukturiertes wissenschaftliches Netzwerk auf, dass mit dem Beginn des Krieges im Jahr 1992 folglich zerstört wird. Hierbei kommt es nicht nur zur Schädigung und anteiligen Zerstörung des Archivs – und Bibliotheksguts, sondern auch zum Schwund der finanziellen Mittel als auch der Fachexperten, die für den Aufbau der nach dem Krieg verbliebenen kulturellen Vermächtnisses notwendig sind. Während des Krieges bleiben die bosnisch-herzegowinischen Archive hauptsächlich unter der regional-ethnisch geführten militärischen und paramilitärischen Kontrolle.
Im heutigen Bosnien und Herzegowina unterliegen die Archive je nach Zugehörigkeit entweder der staatlichen, der entitäten oder der kantonalen Gesetzgebungen. Auch die technologischen und räumlichen Nutzungsbedingung dieser können unterschiedlich sein, wobei anzubringen ist, dass das Archivmaterial grundsätzlich nationalen und internationalen Forschern als auch Privatpersonen zur Verfügung steht.
Das Historische Archiv Sarajevo – Historijski Arhiv Sarajevo (HAS)
Das HAS, das sich heute in der Alipašina 19 befindet und dem Kanton Sarajevo zugehört, konnte den gesamten Vorkriegsbestand aufbewahren. Dieser wird zudem nach verschiedenen thematischen Schwerpunkten in Ausstellungen dem Publikum präsentiert.
Im Rahmen des in Sarajevo veranstalten Workshops „Discursive inclusion and exclusion of Jews in the Balkans“, das vom 03-09.-05.09.2018 stattgefunden hat, wurde das HAS von einigen Teilnehmenden, Studierenden und Professor_innen, besucht: Neben den allgemeinen Informationen über das Archiv und seine Schätze, war uns wichtig auch welche in Bezug auf das sephardische Leben in Sarajevo zu erhalten.
In recht kleinem Raum sind wir von dem Direktor des Archivs Fuad Ohranović sowie seinen Archivisten Atif Mušinović i Admir Nezirović empfangen worden.
Doch auch wenn scheinbar minimalistisch eingerichtet, dieses Archiv beherbergt ein beeindruckendes Archivgut, das von der Gründung der Stadt Sarajevo (hier nur Fragmente), also aus der vorosmanischen Zeit bis heute datiert. Dieses lässt somit die kulturelle, soziologische, politische und historische Entwicklung der Stadt selbst, als auch die seiner Bewohner aufzeigen.
Hier sollte insbesondere angebracht werden, dass die Universitäts- und Nationalbibliothek Bosnien und Herzegowinas, als auch die Gazi-Husrev-Bibliothek (verfügt über großen digitalisierten Bestand), mit denen das HAS in enger Zusammenarbeit steht, hierzu sich ergänzende Bestände innehalten.
Neben der umfangreichen Orientalischen Sammlung in türkischer und arabischer Sprache, unter die auch die Abschrift Isa-Begs Vakufnama die aus dem Jahr 1461 datiert, werden im Archiv Dokumente von unschätzbarem Wert aufbewahrt. Zu diesen zählen auch private und Familiensammlungen, wie beispielsweise die des Historikers Hamdija Kreševljaković.
Aus der österreich-ungarischen Zeit stehen den Nutzern verschiedene Archivalien, wie Karten, Zeitschriften, Erlasse usw. aber auch die Volkszählung aus dem Jahre 1910 zur Verfügung. In dieser wurden nicht nur die Religionszugehörigkeiten vermerkt, sondern ebenso die Besitzverhältnisse, innerhalb des Areals zwischen der Vijećnica und dem Zemaljski muzej, dokumentiert. Zudem beherbergt das HAS die Statistiken der Bevölkerungszählung aus dem Jahr 1925 sowie die gesamten Verwaltungsdokumente der NDH-Ära.
Die Sepharden Sarajevos und die Handschriften Laura Papo Bohoretas
Die oben erwähnten Censuus sind von besonderer Bedeutung, insofern die demographische Entwicklung, der Wachstum und der Rückgang, der jüdischen Gemeinschaft (Sepharden und Aschkenasen) in verschiedenen historischen, wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten untersucht wird. Doch im HAS werden auch andere vielfältige Dokumente über die sephardischen Juden, die sich nach der Vertreibung aus Spanien hier Mitte des 16. Jahrhunderts ansiedeln, bewahrt.
Die Handschriften der 1891 in Sarajevo geborenen Sephardin, Laura Papo Bohoreta, sollten insbesondere erwähnt werden, denn das Besondere dieser liegt zum einen in dem Inhalt und zum anderen in der verwendeten Sprache. Ihre diversen Schriftstücke verfasste Laura Papo Bohoreta in der judeo-spanischen (sephardischen oder ladino) Sprache, die im heutigen Bosnien und Herzegowina vom Sprachtod bedroht ist. Zudem schließt die Autorin und Feministin in ihre literarischen Werke die Lebensweise und die Tradition der sephardischen Juden ein. Eine ihrer bedeutsamen Handschriften ist die Monografie „„La mužer sefardi de Bosna“, die dank dem Romanisten Muhamed Nezirović auch in das Bosnische übersetzt worden ist („Sefardska žena u Bosni“).
Anlässlich der Feierlichkeiten des 450-jährigen Bestehens der sephardischen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina veröffentlichen das HAS und die Philosophische Fakultät der Universität Sarajevo in Zusammenarbeit mit der hiesigen Botschaft des Königreichs Spanien im Zeitraum von 2015 bis 2017 die Trilogie der digitalisierten Handschriften Bohoretas publiziert.
Neben der bereits erwähnten Monographie werden in den drei Bänden auch Gedichte, Essais, Dramen, u. a das in Sarajevo uraufgeführte bekannte Drama „Esterka“, veröffentlicht.
Diese dreibändige Publikation „Laura Papo Bohoreta – rukopisi, das zunehmend auch für wissenschaftliche Kreise von Bedeutung, zeugt nicht nur von den traditionellen Werten der bosnisch-herzegowinischen Sepharden, sondern ebenso von einer über Jahrhunderte bestehenden multikulturellen Gesellschaft in der Region. Die Multikulturalität, als auch die interreligiöse Toleranz – vor allem in der Stadt Sarajevo – bezeigen aber auch andere Artefakte; insbesondere die berühmte Sarajevo Haggadah mit ihrer einzigartigen Überlebensgeschichte, sowie (nach Andrić) „usnuli lavovi“ (die schlafenden Löwen) – die Grabsteine des im Jahre 1630 gegründeten jüdischen Friedhofs.