Die Linguistic Landscape Ulcinjs
Marija Mandić (Institute for Slavic Studies, Humboldt University in Berlin), Jelena Lončar (Faculty of Political Sciences, University Belgrade), Rebekka Zeinzinger (Philosophical Faculty, University of Sarajevo)
Ulcinj ist eine Stadt in Montenegro, die besonders für ihre sprachliche Vielfalt und die friedliche Koexistenz mehrerer ethnischer Gruppen bekannt ist. In der Gesamtbevölkerung von 19.921 der Gemeinde Ulcinj bilden die Albaner mit 70.66% die Mehrheit. Gemäß dem Zensus von 2011 machen Montenegriner 12.44% der Bevölkerung aus, gefolgt von Serben (5.75%), Muslimen (3.86%), Bosniaken (2.25%), Roma und Ägyptern (1.17%). In größerer Zahl leben Albaner in Montenegro auch noch in den Gemeinden von Podgorica, Bar, Gusinje, Rožaje und Plav, aber die Gemeinde Ulcinj scheint das Zentrum der albanischen Gemeinschaft in Montenegro zu sein. Sie ist jedenfalls die einzige Gemeinde Montenegros, in der die Albaner die Mehrheit der Bevölkerung bilden.
Die Sprecher der serbischen, montenegrinischen und bosnischen Sprache sind häufiger in der Stadt als im Rest der Gemeinde zu finden. Fast ein Drittel der Stadtbevölkerung spricht diese Varietäten als „Muttersprache“ (vgl. Daten des Zensus 2011). Im Lehrplan in den Schulen wird diese Sprache als Montenegrinisch-Serbisch, Bosnisch, Kroatisch bezeichnet (Crnogorsko-srpski, bosanski, hrvatski), was einerseits die sprachliche Einheit, andererseits die ethnisch-politischen Unterschiede verdeutlicht. [1]
Das gleiche wird auch bei der Organisation des Schulsystems in Ulcinj sichtbar. Es gibt vier Grundschulen in Ulcinj. Alle vier sind zweisprachig, das heißt auf Montenegrinisch und Albanisch. Bei den höheren Schulen gibt es eine Privatschule in albanischer Sprache („Gjimnazi Drita“) sowie eine staatliche Sekundarschule „Bratstvo i jedinstvo“, die zweisprachig ist. Zusätzlich gibt es auch eine zweisprachige Musik-Grundschule „Ulcinj“. In Bezug auf das Schulsystem bedeutet zweisprachig, dass die Schüler entscheiden können, ob sie auf Albanisch oder Montenegrinisch unterrichtet werden möchten. Es ist jedoch nicht möglich, in beiden Sprachen unterrichtet zu werden, oder z. B. manche Fächer auf Albanisch und andere auf Montenegrinisch zu lernen, was dazu führt, dass die Zweisprachigkeit unter der jungen Bevölkerung nur sehr gering ist.
Unsere Präsentation beschäftigte sich mit der „Linguistic Landscape“, d.h. mit der Sichtbarkeit und Auffälligkeit von Sprachen auf öffentlichen und kommerziellen Schildern in einem bestimmten Gebiet oder einer Region. Linguistic Landscape macht die Wechselbeziehungen von Sprache und Raum sichtbar, und zeigt, wie sie einander beeinflussen, wenn Bedeutungen konstruiert werden. Grundsätzlich kann man zwischen dem offiziellen, öffentlichen und halb-öffentlichen Bereich unterscheiden. Da wir während unseres kurzen Feldausflugs nicht viel Zeit hatten, können wir hier nur einen kurzen Einblick in unsere Beobachtungen über die sprachliche Komplexität und Vielfalt Ulcinjs geben.
Was die offiziellen Schilder, wie die Tafeln am Rathaus oder im Stadtmuseum betrifft, konnten wir sehen, dass alle Schilder sowohl auf Montenegrinisch als auch auf Albanisch sind. Montenegrinisch, als offizielle Landessprache, ist die erste Sprache, die auch sichtbar an oberster Stelle positioniert ist, während die albanische Bezeichnung bzw. Information darunter zu sehen ist.
Das zweite Beispiel (2) ist aus dem Stadtmuseum. Auf dem Schild kann man sehen, dass Montenegrinisch als erste Sprache aufscheint, oben positioniert, ebenfalls im lateinischen Alphabet, dann kommt Albanisch, und die dritte Sprache ist Englisch.
Originalni djelovi cibonijuma IX vijek;
Pjesë originale të cibarijumit, Shek. IX;
Original parts from the 9th century
Auf dem dritten Foto (3) ist ein hybrides, multifunktionelles Schild zu sehen, das auch ein offizielles ist. Seine sprachliche und visuelle Gestaltung zeigt eine umgekehrte Situation: Albanisch kommt zuerst, dann Montenegrinisch. Das Schild verweist auf die Islamische Gemeinschaft Montenegros, den Ausschuss der Islamischen Gemeinschaft Ulcinjs bzw. deren Parkplatz, sowie auf den Vakuf der Moschee Donja Meraja. All diese Verweise werden, wie erwähnt, zuerst auf Albanisch, und dann darunter auf Montenegrinisch angegeben. Das Wort PARKING hat als Fremdwort jedoch nur eine Form, da es auf Englisch, Montenegrinisch und Albanisch das gleiche ist.
Bashkësia Islame në Malin e Zi
Islamska zajednica u Crnoj Gori;
Këshili i Bashkësisë Islame – Ulcinj
Odbor islamske zajednice Ulcinj
PARKING
Vakfi i xhamisë së Merasë së Poshtime
Vakuf džamije Donja Meraja.
Auf dem Foto (4) sieht man zwei Todesanzeigen, offensichtlich eines Albaners. Die obige ist auf Albanisch, während die darunter – optisch identisch zur ersten – auf Montenegrinisch (bzw. einer bosnischen Variante) verfasst ist. Beide Texte auf Montenegrinisch und Albanisch haben identischen Inhalt. Was besonders interessant ist, dass in der montenegrinischen Version auch der Name an den montenegrinischen Standard angepasst ist, und dieser sogar „montenegrisiert“ wurde, indem an den albanischen Familiennamen Lamoja das Suffix –ić gehängt wurde. So wurde in der montenegrinischen Version der Name Lamoja zu Ljamović.
Shefki-Keko Lamoja
Šefki-Keko Ljamović
Die für den Tourismus relevanten Schilder sind alle zwei- oder mehrsprachig. Tafeln vor Restaurants findet man meistens in paralleler Ausführung in den beiden Hauptsprachen, sprachlich und optisch identisch.
Auf den Bildern (5) und (6) sieht man, dass eine Seite der Tafel auf Albanisch und die andere auf Montenegrinisch ist.
Das Foto (7) zeigt jedoch, dass Albanisch auch unter den tourismusbezogenen Aufschriften dominant ist, was durch die hauptsächlich albanischsprachigen Touristen in der Gemeinde zu erklären ist.
Auf dem Foto (8) sieht man ein Schild, das freie Zimmer in vier Sprachen bewirbt. Wir nehmen an, dass die Anordnung der Sprachen mit der zahlenmäßigen Präsenz der Gäste bzw. mit der Präferenz bestimmter Gäste zusammenhängt: Albanisch kommt zuerst, dann Deutsch, gefolgt von Englisch, während Montenegrinisch als letztes in dieser diskursiven Ordnung aufscheint.
(8) Dhoma / Zimmer / Rooms / Sobe
Auf dem Foto (9) haben wir eine ähnliche Situation. Es zeigt einen Pfannkuchen-Stand, auf dem fünf Sprachen zu finden sind: Montenegrinisch, Albanisch, Englisch, Deutsch und Französisch.
(9) Palačinke / Krepé / Crepes / Pfannkuchen
Schließlich zeigt unser letztes Foto (10) Tassen, die an Touristen verkauft werden, mit unterschiedlichen Aufschriften: „An die beste Mama / den besten Papa / Opa / Onkel / … auf der Welt“. Die verwendeten Sprachen sind hier Albanisch, Englisch und Montenegrinisch (bosnische Variante).
Diese kurze Präsentation macht deutlich, dass die Linguistic Landscape Ulcinjs vorrangig albanisch-montenegrinisch zweisprachig ist, aber sehr oft auch mehrsprachig – einschließlich Weltsprachen wie Englisch und Deutsch – aufgrund des touristischen Profils der Stadt. Das lateinische Alphabet herrscht vor, während das kyrillische Alphabet in der Linguistic Landscape der Stadt kaum sichtbar ist. Die hierarchische Ordnung von Montenegrinisch vs. Albanisch ist nicht so starr, sondern hängt vom Bereich ab: die offiziellen Schilder weisen Montenegrinisch zuerst auf, während bei öffentlichen und touristischen Aufschriften Albanisch bevorzugt wird.
[1] Vgl. Nezavisne: https://www.nezavisne.com/novosti/ex-yu/Rijesenjem-o-nazivu-jezika-u-Crnoj-Gori-uglavnom-svi-zadovoljni/105294; zuletzt abgerufen am 20.07.2018.
Literatur
Daten des Zensus 2011. Amt für Statistik von Montenegro. Verfügbar unter: https://www.monstat.org/eng/page.php?id=394&pageid=57; zuletzt abgerufen am 18.07.2018.
Landry, Rodrigue,. Bourhis, Richard Y. 1997. Linguistic Landscape and Ethnolinguistic Vitality: An Empirical Study. Journal of Language and Social Psychology 16 (1), 23-49.
Scollon, Ron, Scollon, Suzie Wong 2003. Discourses in place: Language in the material world. London: Routledge.