Nationalismus beherrscht den öffentlichen Raum und Alltag Serbiens

Patriotismus ist eins der meistbenutzten Wörter im öffentlichen Diskurs in Serbien. Patriotismus hat im serbischen Sprachraum eine ziemlich positive Konnotation, allerdings ist die Grenze zwischen Patriotismus und Nationalismus sehr fließend, was den Populisten oft viel Spielraum lässt, um immer mehr „nach rechts abzubiegen“.

Im Jahr 2021 führte die serbische Regierung einen neuen staatlichen Feiertag, nämlich den Tag der serbischen Einheit, Freiheit und Nationalflagge, ein. An dem Tag gab es eine große Parade mit Soldaten, Folkloregruppen und serbischen Brass-Musikern, die durch die Hauptstadt marschiert sind, um ein wenig Nationalstolz bei der Bevölkerung zu wecken. Außerdem wurden Serben in Bosnien und Kroatien dazu aufgerufen, an diesem Feiertag die serbische Flagge auf ihren Balkonen zu zeigen. Darüber hinaus, trat an diesem Tag ein neues Gesetz in Kraft – alle größtenteils vom Staat finanzierten Läden und Geschäfte, müssen den Namen ihres Unternehmens in der kyrillischen Schrift haben, da die kyrillische Schrift gefährdet sei.

Auch die Street-Art landesweit sagt einem viel über die aktuelle politische Lage in Serbien. Neben den zahlreichen Graffitis, die zur Gewalt gegen LGBTQ+ Community oder die Unterstützer der gegnerischen Fußballclub aufrufen, gibt es viele umstrittene Murals, wobei diejenige, die den Kriegsverbrecher Ratko Mladić schildern, am meisten Kritik geerntet haben. Die Erscheinung von solchen Murals ist nicht überraschend, da seit dem Kriegsende in Jugoslawien keine eindeutige Verurteilung Mladić stattgefunden hat und ihn das in der serbischen Öffentlichkeit gewissermaßen „begnadigt“ hat. Neuerlich sind auch Murals von verstorbenen Oberhäuptern der serbischen orthodoxen Kirche zu sehen.

Die Fotos wurden in der Vojvodina gemacht, die autonome Provinz im Norden Serbiens, in der viele nicht-orthodoxe Minderheiten leben. Obwohl Serbien ein säkularer Staat ist, steht die Regierung gerne mit der serbischen orthodoxen Kirche (SPC) zusammen. Der Grund dafür ist nicht nur Religion an sich, die manche als Teil der serbischen nationalen Identität betrachten. Viele Menschen in Serbien sind prorussisch orientiert und sehr stolz auf die Orthodoxie, zu der sie zusammen mit dem Bruderland Russland gehören. In beiden Ländern scheint sich das Narrativ „es herrscht Krieg gegen die Orthodoxie“ durchgesetzt zu haben.

Auch die Universitäten leiden unter dem enormen politischen Druck. Beispielsweise wurde der Semesterstart an der Universität in Belgrad im Jahr 2021 etwas anders gefeiert: Statt Gaudeamus Igitur haben die Studierende die umstrittene Nationalhymne gesungen. „So zollt man dem Staat Respekt“, hieß es in einer Boulevardzeitung. Die neue Entscheidung zeigte erneut, wie die Regierung die Autonomie der Universitäten gefährdet und versucht, einen nationalistischen Kurs in allen Schichten der Gesellschaft zu implementieren.