2019

Multiperspektivität auf dem Balkan.

Der Sandžak im bosnisch-montenegrinisch-serbischen Prisma

Auf der Exkursion im September 2019 sind Studierende und Wissenschaftlerinnen aus Serbien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina sowie Deutschland mit Informanten und untereinander ins Gespräch gekommen, um die Relativität von Eigenidentifizierungen und die Dynamik von Identitätskonstruktionen innerhalb einer sprachlich und national bzw. ethnisch umkämpften Region zu diskutieren und selbst zu erfahren.

Die Verzahnung mehrerer Ebenen des übernationalen Kontakts von Studierenden und WissenschaftlerInnen wird nachhaltig dazu beitragen, akademisches Wissen für den interregionalen Aussöhnungsprozess zur Verfügung zu stellen und insbesondere ein differenzierteres Bild des Balkanislam in die breitere akademische Öffentlichkeit zu tragen.

Der Sandžak ist ein balkanischer und postjugoslawischer Mikrokosmos, der dennoch von der ethnischen Gewalt im Zerfallsprozess Jugoslawiens verschont geblieben ist und daher für Feldforschungen leicht zugänglich ist. Aus demselben Grund ist die Region zugleich unterforscht, da die Konflikt- und Gewaltorientiertheit der internationalen Balkan-Berichterstattung auf Bosnien und das Kosovo fokussiert war und ist.

Die Region (mit weniger als 10.000 Quadratkilometern) bündelt seit den 1990er Jahren drei postjugoslawische Nationalismen: Die bis heute demographische Überlegenheit der Muslime (ca. 250.000 Personen) in der Region gegenüber der christlichen Bevölkerung (ca. 190.000 Personen) und die bis heute demographische Dominanz der Muslime in der „Hauptstadt“ Novi Pazar erklärt sich aus dem Sonderstatus, den der Sandžak zwischen 1878 und dem Ersten Weltkrieg als Korridor zwischen dem österreichisch besetzten und dann annektierten Bosnien-Herzegowina und der Europäischen Türkei hatte.

Die soziopolitische Marginalisierung der Muslime beginnt dann im monarchistischen Jugoslawien, während die Region unter Tito durch eine Republiksgrenze, mit dem Ende Jugoslawiens durch eine Staatsgrenze zwischen Montenegro und Serbien geteilt wird. Der dritte Nationalismus entsteht durch das von Tito geförderte nation-building der bosnischen Muslime, das ab 1991 eine grenzüberschreitende Kohäsion Richtung Sarajevo auslöst.

Innerhalb der slawischsprachigen Bevölkerung des Sandžak, die sich über zwei Nationalstaaten verteilt, finden wir fünf nationale Optionen (serbisch-bosniakisch-montenegrinisch sowie türkisch und albanisch) und ein optimales Testfeld zur Ausverhandlung von Sprach- und Gruppenidentitäten: Aus bosnischer Sicht sind die Muslime im Sandžak Konnationale, was sich unmittelbar in der Parteienlandschaft und der Sprach- und Kulturpolitik niederschlägt. Im montenegrinischen Sandžak erkennt der Staat jedoch zwei Gruppen von slawischsprachigen Muslimen an, einerseits die „Muslime“ im nationalen Sinn (eine Volkszählungskategorie Tito-Jugoslawiens seit den 1970ern), andererseits die Bosniaken als spill-over aus Bosnien.

Sprachlich ist der Sandžak hochkomplex und bietet der Dialektologie als ein peripheres Areal des štokavischen Kontinuums eine deutlich konservativ-archaische Beleglage, die am ehesten dem Montenegrinischen zuzurechnen ist. Die ethnische Gemengelage und die hohe Durchmischung christlicher und muslimischer Besiedlung zeigt jedoch vor allem, dass sprachliche und nationale Ausrichtung sich wenig überschneiden. Bei der Aufnahme und Analyse von Sprachmaterial werden die Gewissheiten der beteiligten balkanischen Wissenschaftsbetriebe und ihre monopolistisch-exklusiven Eigen- und Fremdzuschreibungen herausgefordert.

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2018

Diskursive Inklusion und Exklusion von Muslimen und Juden

Das Projekt organisiert zwei Workshops (in Montenegro und in Bosnien-Herzegowina) zum Thema „Diskursive Inklusion und Exklusion von Muslimen und Juden“ mit Studierenden und Wissenschaftlern unterschiedlichen akademischen Alters aus drei Westbalkan-Ländern sowie Vertretern einschlägiger NGOs organisieren, wobei gemeinsame  projektthematisch bezogene Exkursionen in lokale Milieus in Bosnien und Montenegro zentraler Bestandteil der Zusammenkünfte sein sollen. Die Workshops werden durch die gemeinsame Erstellung eines thematischen Korpus vorbereitet und deren Ergebnisse durch die Einbindung des Korpus in größere Projekte und die Veröffentlichung der Workshopresultate im Internet zugänglich gemacht.

Ziele der Veranstaltung

Auf den Workshops sollen Studierende, Doktorandinnen und Wissenschaftlerinnen aus Serbien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina sowie Deutschland ins Gespräch kommen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihren Postkonflikt-Gesellschaften zu diskutieren.
Paradigmatisch wird hierfür das Thema Islam und Judentum und der Umgang mit Minderheiten gesetzt, an dem sich Demokratiedefizite ablesen lassen. Die Thematik ist prototypisch für den Westbalkan, dessen Herauslösung aus dem Osmanischen Reich vergleichsweise spät stattgefunden hat. Trotz der militärischen Gewaltexzesse in den Balkankriegen 1912/13 ist die westbalkanische Demographie bis heute stark von muslimischer Präsenz geprägt.

Das Projekt wird aus der Sicht einer transdisziplinären Linguistik hohes gegenwartsdiagnostisches Potenzial entwickeln und durch geschickte Dissemination politische Relevanz im sog. „Berliner Prozess“, d.h. der EU-Integration des Westbalkans, entfalten. Alleinstellungsmerkmal ist die Schwerpunktsetzung auf sprachliche Phänomene: Ausgrenzungen und minority-building beginnen immer mit herabsetzendem Reden über „die Anderen“ (schlimmstenfalls als hate speech), wobei diese Stereotypisierungen immer mit der Überhöhung der eigenen Gruppe korrelieren, die ebenfalls sprachlich verfasst ist.

Daher fokussiert das beantragte Projekt die Dialektik von Inklusion und Exklusion anhand von zwei religiösen Minderheiten: einerseits den spanischsprachigen jüdischen Sepharden, die sich seit ihrer Flucht von der iberischen Halbinsel Ende des 15. Jahrhunderts in Balkanmetropolen wie Thessaloniki, Bitola, Sofia, Plovdiv, Belgrad, Sarajevo angesiedelt haben, andererseits Muslimen auf dem Balkan, die autochthon (durch freiwillige oder erzwungene Konversion zum Islam übergetreten) oder im Zusammenhang mit der osmanischen Eroberung Südosteuropas im 14.-15. Jahrhundert zugezogen sind. Beide Gruppen gehörten in osmanischer Zeit eher zur ökonomischen und urbanen Elite, wurden aber mit der Ende des Osmanischen Reichs marginalisiert und erlebten extreme Umbrüche: Während die sephardischen Gemeinden des Balkans größtenteils im Holocaust ermordet werden, verringerte sich die Zahl der Muslime in Südosteuropa vor allem in den 1910er Jahren durch ethnic cleansing (Ermordung, Vertreibungen und Bevölkerungsaustausch) ebenfalls drastisch.

Über die relevante thematische Auseinandersetzung hinweg verfolgen die Veranstaltungen das Ziel, Akteure verschiedener Ebenen und aus insgesamt sechs Ländern ins Gespräch zu bringen: Professorinnen und Nachwuchswissenschaftlerinnen; NRO-Vertreterinnen und Hochschulmitarbeiterinnen; Musliminnen, Christinnen und Jüdinnen; Albanerinnen, Serbinnen, Montenegrinerinnen, Bosnjakinnen und Deutsche; Politikwissenschaftlerinnen, Linguistinnen und Kulturwissenschaftlerinnen.
Das Projekt spiegelt über die Dialektik von Mehrheit und Minderheit am Beispiel der Diskurse über Islam und Judentum auf dem Balkan die Beziehung zwischen EU-Europa und Südosteuropa wider, die ebenfalls hierarchisch und asymmetrisch ist. Hier kann das Projekt dazu beitragen, die einseitig negative Perzeption des Balkans als Ort der Kleinstaaterei und irrationalen ethnischen Hasses zu relativieren und zu differenzieren.

Angesichts der laufenden Flüchtlingsdebatte, die den EU-europäischen Konsens aufzubrechen droht, bietet Südosteuropa infolge der fast fünfhundertjährigen osmanischen Herrschaft historische Erfahrungen, die für die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen einzufangen und nutzbar zu machen sind: Vor allem ein kulturelles Gedächtnis, das von hoher Diversität geprägt ist

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Gefördert vom DAAD mit Mitteln des Auswärtigen Amtes


2017

Demarcations and crossings of borders in and with South Eastern Europe

The field trip „Demarcations and crossings of borders in and with South Eastern Europe“ lead a group of Serbian and German students to disparate settings of Turkish, Albanian and Slavic-speaking Muslims in Macedonia and Albania, and will introduce us to the specific dialectics of how people see themselves and are seen by others, as well as of integration and segregation.

Young academics are aiming to disseminate the various aspects of Balkan Islam, put this into context and present their findings  This website is supposed to help cluster our impressions, experiences and conclusions of the field trip.

Click on the map to dicover the places we visited:

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The results of the field trip have also been documented in form of an exhibition which is permamently located at the department for Slavonic studies at HU Berlin with temporal displays at the university of Belgrade. The participants of the field trip further prepared two multimedia presentations which have been presented to the public at HU Berlin on the 16th of february and at the University of Belgrade on the 26th of february.

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This DAAD-field trip is part of an academic dialogue between Germany and South Eastern Europe, which the Southern Slavic Studies of the Humboldt University of Berlin would like to  extend to include the present-day diagnostic impact and third mission of the universities.

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With financial support from the DAAD through Federal Foreign Office funds